Vor zehn Jahren wurden in Deutschland erste Institute für islamische Theologie eröffnet. Der zentrale Impuls für diese Entwicklung ging von den „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen des Wissenschaftsrates aus dem Jahr 2010 aus (vgl. https://www.bmbf.de/files/WissenschaftsratEmpfehlung2010.pdf). Das Gutachten legt den Ausbau der Islamischen Studien nahe, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, islamische ReligionslehrerInnen auszubilden und eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung von Religionsgelehrten im Hochschulsystem zu ermöglichen. Aufgrund der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, ist der Staat bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Theologiestudiums auf eine Kooperation mit Religionsgemeinschaften angewiesen. Diese erwuchs in der staatskirchenrechtlichen Tradition in Deutschland durch die Mitwirkung der christlichen Kirchen. Da die islamische Religion jedoch nicht kirchlich verfasst ist und in Deutschland zudem eine sehr hohe intrareligiöse Pluralität aufweist, schlug der Wissenschaftsrat ein Beiratsmodell vor, um die Mitwirkung der islamischen Gemeinschaften in Deutschland zu realisieren. Die Universitäten haben diesen Vorschlag unterschiedlich umgesetzt. So bestehen beispielsweise die Beiräte in Osnabrück und Münster ausschließlich aus VertreterInnen muslimischer Verbände, in Erlangen-Nürnberg ausschließlich aus Einzelpersonen und in Berlin setzt sich der Beirat aus VerbandsvertreterInnen und WissenschaftlerInnen zusammen.
Die Förderung der Institute durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurde zunächst für fünf Jahre an fünf Standorten - Erlangen-Nürnberg, Frankfurt a.M./Gießen, Münster, Osnabrück und Tübingen - bewilligt. 2015 wurde die Förderung verlängert und inzwischen mit Paderborn und Berlin um zwei zusätzliche Standorte erweitert. Neben Lehramtsstudiengängen haben sich auch Bachelor- und Masterstudiengänge etabliert.
Die islamische Theologie war von Beginn an eng in einen gesellschaftspolitischen Diskurs eingebunden. Dies zeigten bereits Diskussionen zur Beiratsfindung, die in medialen Debatten intensiv wahrgenommen und kommentiert wurden. Am Beispiel der Beiratsfindung im Land Berlin wurden diese Konflikte zuletzt sehr deutlich. Dort wurde etwa die Kooperation mit der Islamischen Gemeinschaft der Schiiten in Deutschland (IGS) kritisiert (https://www.tagesspiegel.de/wissen/streit-um-islamische-theologie-in-berlin-erneut-kritik-am-beirat-des-hu-instituts/24972178.html), eine Zusammenarbeit mit den sich als liberal definierenden Verbänden hingegen vermisst (https://www.tagesspiegel.de/wissen/humboldt-universitaet-berlin-wege-fuer-liberale-ins-islam-institut/20988050.html).
Öffentliche Kontroversen wie diese begleiten die Studierenden in ihrem akademischen Alltag. Zusätzlich sieht sich das Fach mit großen integrationspolitischen Erwartungen von Politik und Gesellschaft konfrontiert. Beides beeinflusst nach einer Studie von Lena Dreier und Constantin Wagner die Studierenden deutlich. Dies lässt sich etwa an ihrer Motivation für das Studium ablesen. 64% gaben als Einschreibegrund für das Studium den Wunsch an, gesellschaftsverändernd wirken zu wollen. Ein Wunsch, der eng mit dem Verlangen verbunden ist, eine muslimische Stimme im öffentlichen Diskurs zu bilden und mitzureden, wenn über MuslimInnen gesprochen wird.
Die gesellschaftspolitischen Begebenheiten wirken sich jedoch noch auf andere Weise auf die Motivationen der Studierenden aus. Nur 32% haben sich für das Studium entschieden, um damit eine berufliche Karriere zu verfolgen. Auch wenn dies für ein geisteswissenschaftliches Fach vermutlich kein völlig überraschendes Ergebnis ist, spiegelt es dennoch die Problemlagen wider, die bei den Berufsperspektiven für Studierende der islamischen Theologie bestehen. Da ist zum einen die unsichere Situation des islamischen Religionsunterrichts an Schulen, der noch immer nicht flächendeckend eingerichtet wurde. So wird in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kein islamischer Religionsunterricht angeboten. Bayern und Schleswig-Holstein erteilen einen nicht bekenntnisorientierten Islamkundeunterricht in staatlicher Verantwortung und Baden-Württemberg hat sunnitischen und alevitischen Islamunterricht noch immer nur als Modellversuch im Angebot.
Eine weitere große Baustelle stellt zudem die Ausbildung und die Berufsperspektive für muslimische Religionsbedienstete dar. Was unter dem Stichwort „Imamausbildung“ diskutiert wird, ist das Anliegen, AbsolventInnen der islamischen Theologie analog zum Priesterseminar und dem Vikariat die Möglichkeit einer praktischen Ausbildung zur/zum ImamIn bzw. Religionsbediensteten anzubieten. Nach 10 Jahren der islamischen Theologie in Deutschland gibt es in diesem Bereich noch immer offene Baustellen. Zwar bieten einige Verbände, wie der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), eigene Ausbildungsmöglichkeiten für Religionsbedienstete an, doch konnten AbsolventInnen der islamischen Theologie bislang noch nicht in großem Umfang davon profitieren. Zudem wurde im November 2019 das Islamkolleg Deutschland gegründet. Pro Jahr sollen etwa 30-40 AbsolventInnen der Institute für islamische Theologie dort aufgenommen werden (vgl. http://ezw.kjm6.de/nlgen/tmp/1608031585.html). Diese Entwicklung stellt für die Studierenden der islamischen Theologie allerdings nur dann einen Fortschritt dar, wenn sich für sie auch die Perspektive der Anstellung in einer Moschee bietet.
Es ist deutlich, dass es nach zehn Jahren islamischer Theologie an deutschen Universitäten noch immer einige offene Fragen gibt. Doch wurde auch viel erreicht. Dies zeigt sich vor allem an der Diversifizierung und Professionalisierung von Diskussions- und Dialogforen sowie Medienbeiträgen von und mit islamischen TheologInnen.
Hanna Fülling