Verschwörungserzählungen in der Yoga-Szene

Die Yoga-Szene ist gespalten. Auch hier sind in der Pandemiekrise Verschwörungsglaube, Corona-Verharmlosung und Impfskepsis zutage getreten, und es gab Aussagen, die man eher in rechten Kreisen vermuten würde. Aber es gibt auch Widerstand gegen diese Positionen. Die Wahrnehmung von innen und von außen, eine friedfertige, unpolitische Bewegung zu sein, gerät ins Wanken.

Melanie Hallensleben
Eine Gruppe von Menschen bei einer Yogaübung

Auf den sogenannten Hygiene-Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen waren auch Yoga-Praktizierende zu finden. Im Frühling 2020 traten dort die YogalehrerInnen und MusikerInnen André Maris und Janin Devi mit ihrem Lied „Wach“ auf, weitere Auftritte auf Kundgebungen folgten.1 Wie der Titel nahelegt, fordert das Lied dazu auf, wach zu sein; es reklamiert das Recht, kritische Fragen stellen zu dürfen, und nimmt für sich in Anspruch, damit für die Demokratie einzustehen. Eben diese Wendungen sind zu Schlagworten im Kontext von Verschwörungserzählungen geworden. Auf YouTube wurde das Lied „Wach (feat. Janin Devi)“ von André Maris am 05.05.2020 eingestellt und mittlerweile über 171.000 mal (Stand Mai 2021) aufgerufen.2 Beide, André Maris und Janin Devi, sind dem Umfeld von Yoga Vidya in Horn-Bad Meinberg zuzuordnen.3

Yoga Vidya wurde im Jahr 1992 von Sukadev Volker Bretz (*1963) gegründet. Er selbst war Schüler von dem indischen Yoga-Meister Swami Vishnudevananda. Yoga Vidya ist eine neureligiöse Bewegung und gleichzeitig einer der größten Anbieter von Yoga-Kursen und Yoga-LehrerInnen-Ausbildungen in Deutschland. Neben vier Seminarhäusern gibt es in mehr als 80 deutschen Städten Yoga Vidya-Studios, die in einer Art Franchise-Konzept betrieben werden. Horn-Bad Meinberg ist das religiöse Zentrum der Gemeinschaft, dort arbeiten und leben ca. 250 Menschen.

Während das Lied von André Maris und Janin Devi inhaltlich relativ vage bleibt, gibt es in der Yoga-Szene auch dezidierte Corona-Verharmlosung, Gedankengut von QAnon, Ängste vor Impfzwang etc., wie in mehreren Medien-Artikeln belegt wurde.4 Auch gegen einen namentlich nicht genannten Yoga Vidya-Lehrer wurden in der Süddeutschen Zeitung (10./11. April 2021) Anschuldigungen dieser Art erhoben.5

Der Leiter von Yoga Vidya räumte daraufhin bedauernd ein, dass es in der Yoga-Szene einige wenige gebe, die „abdriften“6. Bretz selbst erkrankte schon früh an Covid-19, ebenso ca. 40 weitere Menschen im Ashram (einem Seminarzentrum) Horn-Bad Meinberg. Glücklicherweise gab es keine schweren Verläufe. Bretz sprach sich immer wieder gegen Verschwörungserzählungen aus und befürwortet eine wissenschaftlich orientierte Medizin. Aber Teile seiner Anhängerschaft sind ihm diesbezüglich nicht gefolgt.7

Für Yoga Vidya und die Yoga-Szene insgesamt gilt: Auf der einen Seite verbreiten Yoga-Praktizierende Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen. Auf der anderen Seite gibt es hörbaren Widerspruch, auch von einflussreichen Yoga-Persönlichkeiten. So wurde im September 2020 ein offener Brief „Yoga für Demokratie“ publiziert, unterzeichnet von 13 bekannten Personen aus der Szene (darunter auch Bretz). Darin heißt es: „[W]ir [werden] uns schweren Herzens von Lehrern trennen, die politischen Verschwörungsglauben verbreiten, Wissenschaft und die Existenz des Coronavirus leugnen, Medien und Politiker als Ganzes verunglimpfen.“8 Doch weshalb führte dieser Brief keine Kehrtwende herbei?

Die Yoga-Szene ist äußerst heterogen. Teils wird Yoga als bloßer Sport betrieben, beispielsweise in Fitnessstudios, teils als spirituelle Praxis verstanden, und zwar wiederum in sehr unterschiedlichen Gestalten. So gibt es neben den organisierten Formen, wie Yoga Vidya oder Kundalini Yoga (nach Yogi Bhajan), zahlreiche YogalehrerInnen, die ihre eigene spirituelle Ausrichtung konzipieren.

Die Entstehung der modernen Esoterik ist geprägt von der Übernahme fernöstlicher Spiritualität und eben auch von Yoga-Lehren. Helena P. Blavatsky (1831-1891), die oftmals als Stammmutter der Esoterik bezeichnet wird, hatte damals Yoga ihrem breiten Publikum zugänglich gemacht. Yoga wie wir es hierzulande kennen, ist mit der modernen Esoterik eng religionsgeschichtlich verwandt. So ist es zu erklären, dass in nahezu jeder Esoterik-Zeitschrift oder Esoterik-Messe die Begriffe Chakren und Karma allgegenwärtig sind. 

Die moderne Esoterik hat mancherlei Züge von Wissenschaftsskepsis hervorgebracht. Häufig werden bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch die Wissenschaft an sich negiert, und eigens entwickelte Lehren und Vorstellungen treten an ihre Stelle. Im Kontext der Pandemie wird dementsprechend von Teilen der Bewegungen wissenschaftlich belegten Erkenntnissen zur Wirksamkeit des Tragens von Masken oder zum Impfen kaum Relevanz beigemessen. Dabei macht sich ein Erbe aus der Entstehungszeit der modernen Esoterik im 19. Jahrhundert geltend. Das aufkommende positivistische, tatsachenorientierte Wissenschaftsverständnis führte dazu, dass spiritistische und esoterische Lehren aus dem Wissenschaftsbetrieb gedrängt wurden.

In der spirituellen Yoga-Szene sowie in der modernen Esoterik herrscht eine große Pluralität von Lehren, was innerhalb der Bewegungen durchweg akzeptiert wird. Beispielsweise wird bei Yoga Vidya nicht vorgegeben, welche Göttin oder welcher Gott anzubeten sei oder ob nicht doch die Natur insgesamt als göttlich gelten solle oder ob vornehmlich der Mensch den göttlichen Funken in sich trage.

In Eigeninitiative werden religiöse Lehren, Praktiken und Riten gesucht.9 Die Suche an sich und der eigene spirituelle Aufstieg sind hierbei maßgeblich. Zwecks spiritueller Selbstvervollkommnung bleibt auch jede Person dauerhaft auf der Suche, viele Praktiken werden ausprobiert und wieder verworfen, so dass Ressourcen für weitere spirituelle Erkundungen frei werden. Die Suchenden sind dabei nicht zuletzt auf verborgenes Wissen und Erklärungen aus, die den Geschehnissen und Erfahrungen des Lebens einen tieferen Sinn geben sollen. Wenn sie dabei auf Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen stoßen, so kann die Versuchung zu deren Annahme bestehen, weil sie versprechen, mit ihrer Hilfe die Weltereignisse besser durchschauen zu können als die anderen Menschen, die nicht „wach“ sind.

Doch wäre es zu einfach, die Yoga-Szene und die moderne Esoterik pauschal als Tummelplätze von „Querdenkern“ und VerschwörungsmythenanhängerInnen zu verdächtigen. Gefragt sind hier wie überall genaues Hinsehen und Differenzierungsvermögen.

Melanie Hallensleben

Anmerkungen

1 Marianne Allweiss: Corona und Verschwörungsgläubige. Die Vertreibung aus der Yoga-Bubble. 06.12.2020. Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/corona-und-verschwoerungsglaeubige-die-vertreibung-aus-der.966.de.html?dram:article_id=488748. – WirWachenAuf Hannover: WirWachenAuf Hannover - André Maris & Janin Devi "Wach" 12.09.2020. 24.09.2020 YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=qtPVRsrR1tI.

2 Janin Devi & André Maris: André Maris - Wach (feat. Janin Devi). 05.05.2020 YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=X2K3QxV3NNU.

3 Beide werden nicht als MitarbeiterInnen bei Yoga Vidya aufgeführt, sie geben dort aber regelmäßig Konzerte und im Impressum ihrer Homepage wird eine Anschrift in Horn-Bad Meinberg genannt.

4 Allweiss: Corona und Verschwörungsgläubige; Sabine Nisslmüller: Was ist eigentlich los mit euch? Wenn Yogis Corona verharmlosen. 12.05.2020. https://www.fuckluckygohappy.de/was-ist-eigentlich-los-mit-euch-wenn-yogis-corona-verharmlosen.

5 Jan Stremmel: Auf Biegen und Brechen. Süddeutsche Zeitung, Nr. 82, Samstag/Sonntag, 10./11. April 2021, S. 49.

6  Sukadev Volker Bretz im Interview. Zitiert nach: Stremmel: Auf Biegen und Brechen, S. 49.

7 Yoga Vidya Blog: Statement des Vorstands des Yoga Vidya e.V. zu Demokratie, Meinungsfreiheit und sogenannten Verschwörungstheorien. 09.06.2020. https://blog.yoga-vidya.de/statement-des-vorstands-des-yoga-vidya-e-v-zu-demokratie-meinungsfreiheit-und-sogenannten-verschwoerungstheorien/.

8 Yoga Easy: Yoga für Demokratie. 29.09.2020 (Stand: 10.11.2020). https://www.yogaeasy.de/artikel/yoga-fuer-demokratie-yogafordemocracy.

9 Winfried Gebhardt; Martin Engelbrecht und Christoph Bochinger: Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der „spirituelle Wanderer“ als Idealtypus spätmoderner Religiosität. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft. 2005, Nr. 13. S. 133-151.

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Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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