The Queen is dead. God save the King! Kirche, Thron und Staat im Vereinigten Königreich

Bei seinem Amtsantritt musste König Charles III schwören, dass sich die presbyterianische Church of Scotland auch künftig ohne königliche Einmischung in Lehre und Ordnung selbst verwalten dürfe. Die Church of England hingegen darf einerseits Bischöfe ins Oberhaus entsenden, muss sich aber andererseits darauf gefasst machen, dass His die Regierung des Königs bei der Auswahl von Bischöfen und Lehrfragen mitredet. Denn dieser ist laut Throneid „Defensor Fidei“ – Verteidiger des Glaubens. In keiner anderen Demokratie sind Kirche und Staat so engmaschig verwoben wie in Britannien.

„The Queen died peacefully at Balmoral this afternoon.“ Mit diesen Worten verkündete die BBC am Abend des 8. September 2022 den Tod der britischen Königin Elizabeth II. Unmittelbar darauf folgte die Nationalhymne, die in Gebetsform mit den Worten „God save the King“ beginnt. Wer jemals in einem Gottesdienst saß, bei dem „Her Majesty“ zugegen war, weiß, dass die Nationalhymne immer gesungen wird, wenn sie den Gottesdienst besucht. Und wer vom letzten Urlaub auf der Insel noch Geld zu Hause hat, mag nachsehen: Britische Münzen sind voller religiöser Bezüge auf das Königshaus. Auch sie weisen auf das komplexe und enge Beziehungsnetz zwischen Staat, Krone und Kirche(n) im Königreich hin, die nun im Zuge der Trauer- und Thronfolgezeremonien sichtbar und erneut bekräftigt, aber auch diskutiert werden.

Defensor Fidei

Auf der Vorderseite aller Münzen ist ein Portrait der Königin zu sehen. Es wurde zuletzt 2015 aktualisiert, weswegen sie heute auf den Geldscheinen jünger erscheint als auf den Münzen. Auf der Ein-Pfund-Münze etwa lautet die Umschrift dieses Portraits: „Elizabeth II. D.G.REG.F.D“. Während Latein- und Geschichtskundige den ersten Teil noch als „Dei Gratia Regina“ (Königin von Gottes Gnaden) identifizieren werden, erschließt sich das „F D“ weniger leicht. 20-Pence- und Zwei-Pfund-Münze helfen weiter: Auf diesen findet sich stattdessen „FID.DEF“. Es steht für „Fidei Defensatrix“, Verteidigerin des Glaubens. Der Titel ist seit Georg I. (1714–1727) auf Münzen belegt.

Defensor fidei ist seit dem frühen 16. Jahrhundert als Titel für britische Herrscher belegt. Er wurde vom Papst zunächst 1507 an Jakob IV. von Schottland, 1521 an Heinrich VIII. von England verliehen. Nach der Abspaltung von Rom wurde Heinrichs Titel revoziert, jedoch schon 1544 erneut verliehen – diesmal vom englischen Parlament, das den König auch zum weltlichen Herrn der Kirche von England erklärte, was bis heute gilt. Der Titel wurde 1707 bei der Union von Schottland und England auf die nunmehr britischen Monarchen übertragen. Er zeigt die Verwobenheit der Krone mit der anglikanischen Staatskirche Church of England (umgangssprachlich „C of E“ bzw. „CofE“).

Langsam – 25 bis 30 Jahre hält eine britische Münze – werden die bisherigen Münzen nun durch solche mit einem Bild des neuen Königs Charles III. ersetzt werden. Auch sie werden den Monarchen als Defensor Fidei proklamieren. Die Bewahrung dieser Tradition allerdings ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn um das Defensor Fidei hat es in der Vergangenheit einige Aufregung gegeben, die jetzt wieder auflebt, weil sich Charles‘ religiöses Koordinatensystem von dem seiner Mutter unterscheidet.

Persönliche Frömmigkeit

Als „Verteidigerin des Glaubens“ trat die Königin auch durch ihr persönliches Glaubensbekenntnis in Erscheinung. Sie war für ihre Frömmigkeit bekannt – ein Aspekt, der in den meisten Nachrufen kaum erwähnt wird, aber für ihr Leben zentral war. Sie war die bekannteste bekennende Christin des Landes, unüberhörbar etwa in ihren Weihnachtsansprachen, die ungefähr seit dem Jahr 2000 einen deutlich persönlich-bekenntnisartigen Ton bekamen. 2014 verband sie ihr persönliches Christusbekenntnis mit dem Respekt für Menschen aller Religionen und Weltanschauungen: „For me, the life of Jesus Christ, the Prince of Peace, whose birth we celebrate today, is an inspiration and an anchor in my life. A role-model of reconciliation and forgiveness, he stretched out his hands in love, acceptance and healing. Christ’s example has taught me to seek to respect and value all people of whatever faith or none.“

Sie lebte ihre Rolle gemäß diesen Worten und ist mit zahlreichen Vertretern und Vertreterinnen britischer Glaubensgemeinschaften zusammengetroffen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war sie im Folgejahr der erste britische Monarch, der je eine Moschee besuchte. Auch in Nordirland wurde sie von vielen als eine Kraft wahrgenommen, die den Friedensprozess zu unterstützen suchte, obwohl sie qua Amt für die eine, die nationalistisch-katholische Seite, das Symbol der verhassten britischen Fremdherrschaft war. „Revered by Unionists, repected by Nationalists“, fasste dies ein katholischer Nordire am Morgen der Beerdigung in der BBC zusammen.

Es passt zu ihrer Religiosität und ihrem gesamten Selbstverständnis, dass Elizabeth II. das „Dei Gratia“ in ihren Titeln im Sinne einer von Gott auferlegten Pflicht zum Dienst durchaus ernst nahm, ohne das vor sich her zu tragen. Bei der Krönungszeremonie 1953 galt ihr jener Teil des Gottesdienstes als der wichtigste, in dem sie kniend vom Erzbischof von Canterbury zur Königin gesalbt wurde. Es ist der einzige Moment, der damals nicht im Fernsehen übertragen wurde, weil er als zu heilig empfunden wurde.

Lebenslang versäumte Elizabeth den sonntäglichen Kirchgang nur, wenn es ihr krankheitsbedingt unmöglich war. Dabei besuchte sie stets öffentliche Gottesdienste. So war es jedem möglich, ihr in der kleinen Royal Chapel in Windsor Park oder auch im Gottesdienst der schottischen Dorfkirche von Crathie bei Balmoral Castle zu begegnen. Einen Hinweis auf die Prägung ihrer Frömmigkeit gibt vielleicht die Tatsache, dass von 1959 bis 1991 John Stott, in der weltweiten Ökumene bekannt als Führungsfigur der evangelikalen Bewegung und einer der Hauptautoren der Lausanner Erklärung von 1974, als persönlicher „Chaplain“ der Königin fungierte.

Während sie in England weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche war und deren Gottesdienste besuchte, ging sie für die Dauer ihrer jährlichen Schottlandaufenthalte im Schloss Balmoral zum Gottesdienst der presbyterianischen Kirche. Die während dieser Zeit sonntäglich wechselnden, offiziell eingeladenen Prediger von Crathie gehörten alle zur schottischen Nationalkirche Church of Scotland. Sie wurden für das jeweilige Wochenende ins Schloss Balmoral eingeladen und berichteten gelegentlich, die Königin und ihr Mann seien aufrichtig am Gespräch über theologische Feinheiten einer Predigt interessiert gewesen.

Auch König Charles gilt als regelmäßiger Kirchgänger, ist aber in einem anderen Land aufgewachsen, einem Land, dessen religiös-weltanschauliche Prägung sich durch Masseneinwanderung und Säkularisierung stark verändert hat. Als Kronprinz hatte Charles 1994 in einem Fernsehinterview erklärt, er wolle sich eher als „Defender of Faiths"1  sehen denn als „Defender of the Faith“. Das hatte damals zu einem öffentlichen Aufschrei geführt. Auch die Möglichkeit „Defender of Faith“ wurde als neue Form in Erwägung gezogen, womit allgemeiner die Verteidigung einer religiös orientierten Lebenshaltung angesprochen wäre. Erst 2015 erklärte der Kronprinz dann auf erneute Nachfrage hin öffentlich, er werde in seinen Throneiden bei der traditionellen Formulierung Defensor Fidei bleiben, diese aber religiös plural interpretieren. Ansonsten beschreiben Insider die Religiosität des Königs eher als die eines „spirituellen Suchers“ oder als „eco-spirituality“ (Öko-Spiritualität).

„Supreme Governor of the Church of England“

Zu den Titeln des britischen Königs gehört auch „Supreme Governor of the Church of England“. Er ist ihr weltliches Oberhaupt (neben dem Erzbischof von Canterbury als geistlichem Haupt). Seine Rolle beziehungsweise die Rolle des Staates in kirchlichen Angelegenheiten steht dabei nicht nur auf dem Papier, auch wenn sie im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte, insbesondere nach 1945, schrittweise abgenommen hat.  Der Grund dafür ist, dass die anglikanische Kirche seit ihrer Gründung durch Heinrich VIII. Staatskirche ist, sie ist „Established“. Das blieb sie auch bei der Union 1707.

Die Macht des Königs als „Supreme Governor“ wird dabei nur indirekt, nämlich über die Regierung ausgeübt („His Majesty’s Government“). Ein zentraler Punkt ist die Mitsprache des Premierministers bei der Ernennung von Bischöfen. Wird in der CofE ein Bistum vakant, so tritt eine „Crown Nominations Commission“ zusammen und macht einen Vorschlag für die Nachfolge. In dieser Kommission spielt der „Beauftragte des Premierministers für die Besetzung kirchlicher Leitungsämter“ eine zentrale Rolle. Den Vorsitz der Kommission führt ein Laienmitglied der CofE, welches ebenfalls der Premierminister bestimmt. Dieses Komitee erarbeitet eine Zweierliste (mit Erst- und Zweitwahl, seit 2019 ist auch eine Einerliste möglich). Der Premierminister leitet diesen Vorschlag dem König zur Ernennung weiter. Während die königliche Zustimmung reine Formsache ist, gilt das für die des Premiers nicht immer. Zuletzt haben Margaret Thatcher und Tony Blair (einen Monat nach Amtsantritt) beide in spektakulären Fällen ihr Vetorecht geltend gemacht und eine Ernennung des von der Kirche gewünschten Kandidaten verhindert.

Parlament und Kirche

Zu den Besonderheiten des Königreichs gehört auch, dass das Parlament bestimmte kirchliche Synodenbeschlüsse über Lehrfragen bestätigen muss. Als die CofE 2014 zum Beispiel entschied, auch Frauen zum Bischofsamt zuzulassen, hatten Unter- und Oberhaus dieser Entscheidung in offiziellen Beschlüssen zuzustimmen, bei denen gleichzeitig das Reformgesetz von 1993, welches die Ordination von Frauen zum Priester-, aber nicht zum Bischofsamt regelte, aufgehoben wurde.

Immer wieder für Diskussionsstoff sorgt die Tatsache, dass 26 der insgesamt 42 Bischöfe der CofE im britischen Oberhaus (House of Lords) sitzen. Fünf von ihnen kommen aus den fünf „Großen Diözesen“ (Canterbury, York, Durham, London, Winchester). Im nicht gewählten Oberhaus werden Gesetze, die das demokratisch gewählte Unterhaus beschließt, beraten und in der Regel bestätigt. Verhindern kann das Haus Gesetze nicht, wohl aber verzögern. Angesichts der momentan über 800 Oberhausabgeordneten ist die Rolle der 26 Bischöfe praktisch unbedeutend. Anstößig ist sie für viele dennoch, weil die Bischöfe nur eine, noch dazu heute eher kleine Gruppe des Volkes vertreten, während weder die anglikanischen Kirchen in Wales und Irland noch Katholiken, Freikirchen oder die Church of Scotland ex officio Vertreter entsenden können, von anderen Religionsgemeinschaften im Land ganz zu schweigen. Dem begegnet man seit der Reform 1999 durch verstärkte Berufung von Angehörigen dieser Gruppen.

Widerspruch

Die britische Art der Verbindung von Staat und Kirche räumt Ersterem sehr viel mehr Einfluss auf die inneren Angelegenheiten von Letzterer ein als umgekehrt. Dennoch gibt es vonseiten organisierter Säkularisten Widerstand gegen die beschriebenen Regelungen. Die National Secular Society kritisiert zum Beispiel die Eidesformulierung „Defender of the Faith“ als unpassend in einem Land, in dem sich über die Hälfte der Menschen sich zu keiner Religion mehr bekennt. (Diese Zahl hängt von Fragestellung und Zählweise ab. Bei anderen Umfragen erklären sich nur 20 % als völlig religionslos.) Aus säkularistischer Perspektive erscheinen die Regelungen als Privilegierung der Church of England. Der König werde vom Erzbischof von Canterbury in Westminster Abbey gekrönt und gesalbt, im Rahmen einer Zeremonie voller religiöser Bezüge, in denen der König schwöre, die Rechte und Privilegien der Staatskirche zu bewahren und die „Laws of God“ zu erhalten (was immer diese sein mögen). Vergleichbare Bräuche für das Staatsoberhaupt gebe es in keiner einzigen anderen Demokratie. Die Secular Society plädiert daher dafür, Kirche und Staat vollständig voneinander zu lösen.4

Stimmen für ein solches „distestablishment“ gibt es auch innerhalb der Kirche. Anglikanische Laien im kirchlichen Thinktank „Ekklesia“ (ekklesia.co.uk) etwa kritisieren seit Jahren den Status Quo. Sie unterstützen die säkulare Kritik an der fehlenden demokratischen Legitimität der Arrangements, erweitern sie aber um theologische Einwände.5

Die Vertreter beider Gruppen, säkularer und kirchlicher Staatskirchenkritiker, sind nicht zufällig oft Republikaner, d. h. sie fordern nicht nur die strikte Trennung von Kirche und Staat, sondern auch die Abschaffung der Monarchie. Ihr Kampf für ein disestablishment der Kirche leidet eher am völligen Desinteresse der religiös indifferenten Mehrheit. Auch ihr Einsatz gegen die Institution Monarchie ist derzeit eine klare Minderheitsmeinung. In unsicheren Zeiten sehnen sich die Menschen nach Beständigkeit und Tradition. Die Zustimmung zur Monarchie ist heute viel höher als noch vor 20 oder 30 Jahren. Dem neuen König erging es zuletzt wie seinem Vorgänger Edward VII. (1901–1910). Auch dieser folgte als älterer Herr auf eine sehr lange regierende Mutter und war als Kronprinz eher unbeliebt gewesen. Aber kaum auf dem Thron begann seine Beliebtheit steil zu steigen.

Wie lange es noch eine englische Staatskirche gibt, darauf mag man nicht wetten. Aber die Monarchie kann nach derzeitigem Anschein eher gelassen in die Zukunft und auf den republikanischen Widerstand blicken. Im Hinblick auf diese Gelassenheit kann sich König Charles an seiner verstorbenen Mutter orientieren. Als vor einigen Jahren eine schottische Pastorin, die als Predigerin ins Dorf Crathie bei Balmoral eingeladen war, der Königin vor dem Gottesdienst erklärte, sie werde als überzeugte Republikanerin die Nationalhymne „God save the Queen“ nicht mitsingen, habe die alte Dame freundlich geantwortet: „Don’t worry, dear. I never sing it either.“

Kai Funkschmidt

Anmerkungen

Faith bedeutet sowohl „Glaube“ wie auch „Religion“, kann daher auch im Plural stehen.

2  So Ian Bradley, Prof. em. der Universität St. Andrews, der über Jahrzehnte wiederholt zur Religiosität des königlichen Haushalts publiziert hat (www.washingtonpost.com/world/2022/09/13/king-charles-religion-faith/).

3  Zu den Veränderungen vgl. Peter Webster: Parliament and the law of the Church of England, 1943-74, (https://peterwebster.me/2019/01/29/parliament-and-the-law-of-the-church-of-england-1943-74/).

4  www.secularism.org.uk/head-of-state/.

5  Simon Barrow: Disestablishment and the ‘common wealth’ spirit, 203.2021 (www.ekklesia.co.uk/2021/03/20/disestablishment-and-the-common-wealth-spirit/).