Kurzbericht zur DIK-Fachtagung (11/2023)

Rüdiger Braun: „Den Paternalismus deutscher Islampolitik überwinden!“

Eine Ende November 2023 ausgetragene Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) wollte sich ursprünglich dem Thema „Muslimfeindlichkeit“ widmen. Die kurzfristige Erweiterung des Programms um das Thema „Antisemitismus“ sorgte nicht nur unter den muslimischen Teilnehmern für Irritation.

Ursprünglich zur Vorstellung und Diskussion des „Berichts des unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit“ anberaumt, setzte die Fachtagung der Deutschen Islam Konferenz – veranlasst vom Hamas-Massaker im Oktober und dessen auch in Deutschland spürbaren Folgen – kurzfristig auch Antisemitismus auf die Tagesordnung. Muslime, ursprünglich als Diskriminierungsopfer im Fokus, wurden nun mit der Frage konfrontiert, was sie zu dessen Bekämpfung beitragen können. Diese Doppelfokussierung hat eine konstruktive und für alle Teilnehmenden gewinnbringende Diskussion erheblich erschwert.

Zwischen Diskriminierung und Paternalismus

Ziel war es, nach etlichen, stärker von Sicherheits- und Integrationsfragen bestimmten Fachtagungen nun endlich die Muslime selbst als von Diskriminierung Betroffene in den Fokus zu rücken. Die Grundlage dazu bot der Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) und die darin aufgeführten Handlungsoptionen gegen die wachsende Muslimfeindlichkeit. So zeugt der Datenbefund des UEM-Berichts von einer in West- und Ostdeutschland gleichermaßen stark ausgeprägten Muslimfeindlichkeit: Sie gedeiht, so die Staatssekretärin Seifert in ihrer Eröffnungsrede, „in der Mitte der Gesellschaft“ und stellt für viele Muslime eine ihr psychisches Wohlbefinden zum Teil erheblich beeinträchtigende Alltagsrealität dar. Auch Bundesinnenministerin Faeser unterließ es nicht, in ihrem Grußwort auf die alarmierenden Auswirkungen von Muslimfeindlichkeit auf das Sicherheitsempfinden der Muslime in Deutschland hinzuweisen. Doch sah sie sich angesichts israelfeindlicher Ausschreitungen in Berlin zugleich dazu veranlasst, auf die überproportionale Verbreitung antisemitischer Ressentiments unter Muslimen aufmerksam zu machen. Direkt im Anschluss an Faeser kritisierte Ex-Präsident Wulff antiisraelische Freitagspredigten und appellierte an die Muslime, sich intensiver mit dem religiös begründeten Antisemitismus in ihren Reihen auseinanderzusetzen. Er wünsche sich „klare Positionierungen zugunsten der Meinungsfreiheit“, eine interreligiöse Kooperation in den „wirklich wichtigen Fragen“ wie z.B. der Bewahrung der Schöpfung und schließlich eine Zivilisierung in Fragen der Theologie.

Debatten über Islambilder und Bildungsaufgaben

Ein wissenschaftliches Panel, das ursprünglich dem UEM-Bericht gewidmet war, sollte nun nach der Fokusverschiebung auf den Antisemitismus dessen Schnittmengen mit dem Phänomen der Muslimfeindlichkeit beleuchten. Doch stieß der neue Fokus bei den Wissenschaftlern nur auf geteiltes Wohlwollen. Matthias Rohe, maßgeblich an der UEM-Studie beteiligter Islam- und Rechtswissenschaftler aus Erlangen, stellte sich einer Hermeneutik des Verdachts ausdrücklich entgegen und betonte die Notwendigkeit tiefergehender Forschung, um den „Empathie-Gap“ zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft zu überbrücken. Entscheidungen und Maßnahmen zugunsten von Minderheiten seien, so Rohe, auch ein Markenzeichen des Rechtsstaats. Riem Spielhaus, Leiterin der Abteilung „Wissen im Umbruch“ am Leibniz-Institut für Bildungsmedien in Göttingen, unterstrich den Transformationsbedarf hinsichtlich bestehender Lehrmaterialien und Lehrpläne zu islambezogenen Themen. Die Fokussierung auf Problembereiche und nicht auf die Vielfalt der muslimischen Kultur trage zur Perpetuierung antimuslimischer Ressentiments bei. Meltem Kulacatan von der Universität Frankfurt thematisierte angesichts des beschleunigten Mobilisierungspotenzials der Sozialen Medien die gestiegenen Herausforderungen der Schulpräventionsarbeit.

Die Perspektive der Betroffenen

In der anschließenden Podiumsdiskussion forderte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Alabali Radovan, eine verstärkte Fokussierung auf direkt von antimuslimischem Rassismus Betroffene und widersprach energisch politischen Forderungen nach Reziprozität im Kampf gegen Hass und Hetze: „Niemand muss in Vorleistung gehen, um vor Rassismus geschützt zu werden.“ Etwas vorsichtiger hatten sich zuvor Faeser und Wulff dazu geäußert und auch der Bericht des Religionsmonitors zu „Antisemitismus, Rassismus und gesellschaftlicher Zusammenhalt“ betont, dass „das Eintreten gegen jede Form des Antisemitismus“ in Deutschland „eine aus der historischen Verantwortung gewachsene Bedeutung“ habe: Dies gelte „für Alteingesessene ebenso wie für Zugewanderte“.

Sensibilisierung und Umgangsstrategien

In der Ergebnissicherung der insbesondere dem Empowerment von Muslimen gewidmeten Workshops wurden insbesondere die Verdienste der vom Bund und Land Berlin geförderten NGO CLAIM betont, die sich darauf konzentriert, „muslimfeindlich motivierte Übergriffe und Diskriminierung besser zu erfassen und sichtbar zu machen“. Laut einer von CLAIM 2023 durchgeführten Studie sind Personen, die sich als religiös beschreiben, einer muslimischen Organisation angehören oder religiös konnotierte Kleidung tragen, am stärksten von Muslimfeindlichkeit und Mehrfachdiskriminierung betroffen. Als explizite Gründe für die erlebte Diskriminierung werden ethnische Herkunft (65%), Aussehen (57%), religiöse Kleidung (53%), Name (50%) und religiöse Praxis (44%) genannt.

Radikalisierung und Kooperation

Wiederholt wurde auf der Fachtagung auf den auch von der Radikalisierungsforschung aufgewiesenen Umstand aufmerksam gemacht, dass diskriminierte Menschen eine besondere Anfälligkeit für konservative Religionsauslegungen und damit für Radikalisierungen zeigen. Die sozio-emotionale Desintegration länger ansässiger Muslime verstärkt diese Tendenz. Der Vorstandsvorsitzende der malikitischen Gemeinde Deutschlands, Omar Kuntich, betonte in der abschließenden Podiumsdiskussion daher die (durch den Nahostkonflikt nochmals verstärkte) Desillusionierung muslimischer Migranten und warnte vor der damit bestehenden Gefahr der Radikalisierung. Diesen Menschen wieder das Vertrauen in die Demokratie zurückzugeben sei, so Kuntich, eine „Herkulesaufgabe“.

Sichtbarkeit und Freiheitlichkeit

In ihren Schlussworten zur Fachtagung versuchte Staatssekretärin Juliane Seifert, die zwischen Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus oszillierenden und vagabundierenden Gesprächsfäden wieder zusammenzuführen. Als das gemeinsame Ziel sah sie die „offene Gesellschaft“ und die „freiheitliche Lebensart“, als Schlüsselthemen der kontrovers ausgefochtenen Debatten „Sichtbarkeit“, „Dialog“ und „Professionalisierung“. Es gelte, muslimische Partizipation sichtbarer werden zu lassen, miteinander im Dialog zu bleiben und die notwendigen Mittel für ein von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus freies zivilgesellschaftliches Miteinander auf Augenhöhe bereit zu stellen.

Bei allen zweifellos auch Anlass zu Kritik gebenden paternalistischen Tönen lässt sich am Ende doch ein positives Fazit ziehen: Die Bereitschaft der Politik zur engeren Kooperation mit den muslimischen Mitbürgern und mit den Formen ihrer Vergemeinschaftung war nicht zu überhören. Es liegt nicht nur, aber auch an den Muslimen selbst, daraus etwas entstehen zu lassen, was den Paternalismus deutscher Islampolitik langfristig zu überwinden vermag.

 

Vielen Dank für die Lektüre dieses EZW-Kurzberichts mit Tagungsbeobachtungen von Rüdiger Braun. Wenn Sie das Thema interessiert, lesen Sie den ZRW-Beitrag „‚Antimuslimischer Rassismus‘ als Radikalisierungsfaktor. Zum Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM)“ von Rüdiger Braun hier in voller Länge:

Kostenpflichtiger Volltext (Nomos-Verlag)

Ansprechpartner

Foto Dr. Rüdiger BraunPD Dr. theol. Rüdiger Braun
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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