Als einen aktuellen Beleg für rechtsextreme Gewalt führte Stefan Huber, Leiter des Instituts für Empirische Religionsforschung an der Universität Bern und Co-Autor der Studie, den Terroranschlag in Hanau an. Die Verschwörungsmentalität, von der dieser Täter offenbar getrieben war, sei der Versuch, eine immer komplexer werdende Welt schlicht in Gut und Böse zu unterteilen und die Schuld für Missstände Fremden zuzuschieben. Eine solche Gedankenwelt spiegle sich auch im Aberglauben wider, welcher eng mit dem Hang zu Verschwörungstheorien zusammenhänge. Stefan Huber hat die Studie zusammen mit dem Religionssoziologen und Rechtsextremismusforscher Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig durchgeführt.
In ihrer Studie untersuchten Huber und Yendell, inwieweit verschiedene Formen von Religiosität rechtsextreme Einstellungen begünstigen oder eher verhindern. Dazu analysierten sie Daten einer repräsentativen Erhebung in Deutschland (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, ALLBUS 2018). Die Autoren stellten fest, dass Religiosität mit Rechtsextremismus statistisch zusammenhängt. Ein wichtiges Ergebnis belegt, dass insbesondere im Osten Deutschlands die Anbindung an eine Kirche gegen rechtsextreme Einstellungen «immunisiert». Demnach sind Menschen, die in Ostdeutschland häufig den Gottesdienst besuchen und an kirchlichen Aktivitäten teilnehmen, deutlich seltener anfällig für rechtsextreme Einstellungen. Die empirischen Religionsforscher erklären dies damit, dass kirchlich aktive Menschen sich mit der offenen und toleranten Weltanschauung ihrer Kirche identifizieren und Werte Nächstenliebe und Toleranz höchste Priorität hätten. Dies sei gerade im Osten Deutschlands der Fall, wo die Kirche beim Fall der Mauer 1989 eine wichtige Rolle gespielt habe, aber nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden seien. Die kirchlich Aktiven, so ein weiteres Ergebnis der Studie, wählen im Osten signifikant seltener die AfD als Menschen, die mit der Kirche nichts zu tun haben.
Zugleich zeigen die Forscher, dass im Osten wie auch im Westen Deutschlands Aberglaube mit rechtsextremen Einstellungen verbunden ist. Der Glaube an Glücksbringer, Wahrsager, Horoskope und Wunderheiler gehe häufig mit einer ethnozentrischen Sichtweise und rechtsextremen Einstellungen einher. Ihre Befunde würden Theodor Adorno mit seinen Studien zum autoritären Charakter bestätigen, wonach abergläubische Menschen häufig die Welt in Gut und Böse unterteilen und in diesem Kontext zu Vorurteilen gegenüber Fremden neigten.
Die beiden Forscher messen der der evangelischen und katholischen Kirche eine besondere Rolle im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu. Weil sich die Kirchen für zugewanderte oder geflüchtete Menschen und interreligiösen Dialog einsetzten, könnten sie dazu beitragen, Vorurteile etwa gegenüber dem Islam, Muslimas und Muslimen abzubauen.
Das sind ermutigende Einschätzungen von zwei Religionsforschern, nehmen doch in machen kirchlichen Milieus Fundamentalisierungstendenzen und Intoleranz zu.
Michael Utsch
Quelle:
Stefan Huber, Alexander Yendell: Does religiosity matter? Explaining right-wing extremist attitudes and the vote for the Alternative for Germany (AfD). Religion and Society in Central and Eastern Europe 12/2019, 63-83.
https://www.rascee.net/index.php/rascee/article/view/165/pdf (open access)
Ansprechpartner
Prof. Dr. phil. Michael Utsch
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin
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