Neue Kommission zu antimuslimischem Rassismus in Berlin

Als erstes Bundesland in Deutschland hat Berlin Ende Februar eine „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ eingerichtet. Ziele des auf ein Jahr angelegten Projekts sind die kritische Begleitung der Berliner Verwaltung, die Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen sowie die Erarbeitung einer brauchbaren Begriffsdefinition. Anlass zu dieser neuen Berliner Kommission wie auch zum bereits im September 2020 durch das Bundesinnenministerium ins Leben gerufenen „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) bot der rassistisch motivierte Terroranschlag von Hanau.

Alexander Benatar
Grafik: Ein schwarzer Balken mit weißer Aufschrift STOP RACISM

Als erstes Bundesland in Deutschland hat Berlin Ende Februar eine „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ eingerichtet. Als Vorbild dienen ähnlich arbeitende Gremien zum Thema Antisemitismus. Ziel des auf ein Jahr angelegten Projekts ist neben der kritischen Begleitung der Berliner Verwaltung und Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen für Landespolitik und Zivilgesellschaft zunächst die Erarbeitung einer brauchbaren Begriffsdefinition. Die konstituierende Sitzung fand am 26. Februar statt. Traurigen Anlass zu dieser neuen Berliner Kommission wie auch zum bereits im September 2020 durch das Bundesinnenministerium ins Leben gerufenen „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ bot der rassistisch motivierte Terroranschlag von Hanau.

Am späten Abend des 19. Februar 2020 hatte im hessischen Hanau ein von rassistischen Wahnvorstellungen getriebener arbeitsloser Bankkaufmann und Sportschütze gezielt Jagd auf Menschen mit Migrationshintergrund gemacht. Binnen zwölf Minuten fielen seinen Schüssen acht Männer und eine Frau zum Opfer, sechs weitere Personen wurden verletzt. Zuletzt tötete er seine Mutter und sich selbst. Diese Bluttat löste im Laufe des nächsten Tages zunächst in Hanau und bis zum Abend bundesweit Bestürzung und großes Entsetzen hervor. Es folgten zahlreiche Mahnwachen und Kundgebungen unter Beteiligung von PolitikerInnen fast aller im Bundestag und in den Landesparlamenten vertretenen Parteien. Vor allem auf viele MuslimInnen in Deutschland wirkte der Anschlag von Hanau äußerst verunsichernd. Angesichts des ebenfalls rassistisch motivierten Anschlags in Halle nur sechs Monate zuvor und einer immer offener zur Schau getragenen rassistischen Rhetorik zumal jener PolitikerInnen, die bei den Mahnwachen fehlten, blieben nicht wenige MuslimInnen ihren Moscheen an den nächsten Freitagen sicherheitshalber lieber fern.

Das Attentat von Hanau reiht sich ein in eine lange Folge rassistischer und antimuslimischer Terroranschläge, die Deutschland in den letzten Jahrzehnten erschütterten. Am frühen Morgen des 29. Mai 1993 wurden bei einem rechtsextrem motivierten Brandanschlag auf ein Wohnhaus im nordrhein-westfälischen Solingen fünf Menschen türkischer Abstammung ermordet. Erst ein halbes Jahr zuvor, nur Monate nach den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, hatten Neonazis in Mölln (Schleswig-Holstein) auf dieselbe Weise drei weitere türkische Migrantinnen getötet. Ebenfalls rassistisch motiviert waren ab Anfang der 2000er Jahre die Mordserie des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) sowie 2015 die Sprengstoffanschläge gegen Asylunterkünfte der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Größere Bekanntheit erlangte auch die Ermordung von Marwa El-Sherbini, einer 32-jährigen Pharmazeutin, Handballerin und jungen Mutter mit ägyptischen Wurzeln, aus antimuslimischen Motiven in einem Dresdner Gerichtssaal am 1. Juli 2009. In Erinnerung an diesen rassistischen Mord wird seit 2015 am 1. Juli der Tag gegen antimuslimischen Rassismus begangen. In der um diesen Tag liegenden Woche organisiert die vom Bundesfamilienministerium geförderte CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit außerdem eine „Aktionswoche gegen antimuslimischen Rassismus“.

Auch unterhalb der Schwelle tödlicher Gewalt spricht der empirische Befund zu antimuslimischem Rassismus eine deutliche Sprache. Seit dem 1. Januar 2017 werden islamfeindliche Straftaten in Deutschland systematisch als solche erfasst, das Bundesinnenministerium führt sie inzwischen als gesonderte Kategorie politisch motivierter Kriminalität (PMK) auf. Seither registrieren die Behörden durchschnittlich an jedem zweiten Tag einen Angriff auf muslimische Einrichtungen in Deutschland und bundesweit insgesamt knapp drei islamfeindliche Straftaten pro Tag, von denen sie über 90 Prozent dem rechten politischen Spektrum zuordnen.1 Neben offen muslimfeindlichen Straftaten äußert sich antimuslimischer Rassismus aber auch in alltäglichen Diskriminierungen von MuslimInnen, etwa auf dem Wohnungsmarkt oder wenn ein Supermarkt einer Schülerin aufgrund ihres Kopftuchs, anders als ihren nichtmuslimischen Freundinnen, einen Ferienjob an der Kasse verwehrt.2 Subtiler, aber nicht minder perfide macht sich demgegenüber die gezielte Verbreitung antimuslimischer Narrative aus, sei es durch einschlägig programmierte Suchmaschinen-Algorithmen3 oder durch Warnungen vor „importiertem Antisemitismus“ unter MuslimInnen, der zweifellos ein gravierendes Problem darstellt,4 zumal von rechtspopulistischer Seite aber auch missbraucht wird, um vom Antisemitismus in den eigenen Reihen abzulenken und dabei gleichzeitig muslimfeindliche Ressentiments zu schüren.5

Diesen und ähnlichen Entwicklungen will die Berliner Justizverwaltung nun mit der neu eingerichteten Kommission „Antimuslimischer Rassismus“ begegnen. Es sei „unerträglich, wenn in Berlin Frauen das Kopftuch heruntergerissen wird oder sogar kleine Kinder angegriffen werden“, benannte der Senator für Justiz und Antidiskriminierung Dirk Berendt (Grüne) im Berliner Tagesspiegel eine weitere verbreitete Form von muslimfeindlichem Alltagsrassismus.6 Moderiert wird die Kommission von Eren Ünsal, Leiterin der Landesantidiskriminierungsstelle des Berliner Senats, die sich neben den Bereichen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus seit 2018 auch dem antimuslimischen Rassismus widmet. Zu den Kommissionsmitgliedern zählen außerdem Zülfukar Çetin, der an der Evangelischen Hochschule Berlin die Professur für Migration und Diversity innehat, sowie Ozan Zakariya Keskinkiliç, Politikwissenschaftler und Lehrbeauftragter im Bereich Rassismus an der Berliner Alice Salomon Hochschule, die Pädagogin Sanem Kleff, Leiterin des bundesweiten Schulnetzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und Yasemin Shooman, die als Historikerin das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) führt. Auch das Islamforum der Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration wurde gebeten, zwei Delegierte zu entsenden und wählte Lydia Nofal und Mohamad Hajjaj, die sich beide u.a. im Moscheeverein „Inssan“ engagieren.7

In den „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ (UEM) des Bundesinnenministeriums wiederum, der nach zweijähriger Arbeit einen ersten Bericht vorlegen sowie Empfehlungen für den Einsatz gegen Muslimfeindlichkeit abgeben soll, wurden im September 2020 zwölf Personen aus Wissenschaft und Praxis berufen: Iman Attia (Sozialpädagogin, Alice Salomon Hochschule Berlin), Karima Benbrahim, (Pädagogin, Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V.), Saba-Nur Cheema (Politikwissenschafterin, Bildungsstätte Anne Frank e.V.), Yasemin El-Menouar (Soziologin, Bertelsmann Stiftung), Karim Fereidooni (Pädagoge, Ruhr-Universität Bochum), Kai Hafez (Kommunikationswissenschaftler, Universität Erfurt), Özcan Karadeniz (Politikwissenschaftler, Verband binationaler Familien und Partnerschaften e.V.), Anja Middelbeck-Varwick  (Theologin, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main), Nina Mühe (Ethnologin, CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit), Mathias Rohe (Jurist, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Christine Schirrmacher (Islamwissenschaftlerin, Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Katholische Universität Löwen, Mitglied im Kuratorium der EZW) sowie Yasemin Shooman (Historikerin, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung).8

Interessanterweise wurden für die ihrem Ziel und Anspruch nach ähnlich ausgerichteten Kommissionen des Landes Berlin bzw. der Bundesregierung zwei unterschiedliche Begriffe gewählt, um letztlich dasselbe gesellschaftliche Phänomen zu benennen. „Antimuslimischer Rassismus“, „Muslimfeindlichkeit“ bzw. „Islamfeindlichkeit“ oder auch der (mitunter als Kampfbegriff verwendete) Ausdruck „Islamophobie“ – in unterschiedlicher Akzentuierung meinen all diese Termini eine gegen MuslimInnen, oder jene, die als solche wahrgenommen werden gerichtete Ausprägung dessen, was in der Sozialwissenschaft als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) bezeichnet wird.9 Dass ein entsprechender Handlungsbedarf inzwischen auch in der Politik wahrgenommen wird, ist ebenso zu begrüßen wie das Anliegen, zunächst den Untersuchungsgegenstand genau zu bestimmen.

In jedem Fall wird beiden Kommissionen eine Gratwanderung und starke Differenzierung abverlangt. Einerseits gilt es, legitime Kritik an der Instrumentalisierung des Islam durch extremistische Kräfte, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung widersprechende gesellschaftliche Ziele verfolgen, Raum zu geben. Berechtigte Warnungen vor islamistischen Gruppierungen, die unsere offene Gesellschaft bedrohen, sollten nicht mit kritikwürdiger Islamfeindlichkeit verwechselt werden. Andererseits wiederum darf nur vorgeblich sachlich begründete „Islamkritik“ auch nicht zum Deckmantel werden, um pauschal antimuslimische und diffamierende Positionen zu verbreiten. 

Alexander Benatar
 
Für eine kritische Stellungnahme zur begrifflichen Abgrenzung, vgl. das Stichwort „Islamkritik und Islamfeindlichkeit“ von Friedmann Eißler: https://www.ezw-berlin.de/html/3_3054.php.

Für eine digitale Diskussionsrunde zum Thema, veranstaltet von der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft: https://aiwg.de/digitale_diskussion_antimuslimischer_rassismus/.


Anmerkungen
 1 Mediendienst Integration (Hg.): Infopapier – Antimuslimischer Rassismus in Deutschland: Zahlen und Fakten, Berlin März 2021, S. 9 (Download unter: https://mediendienst-integration.de/artikel/antimuslimischer-rassismus-ist-weit-verbreitet.html); s. auch Elisa Rheinheimer-Chabbi: „Feindbild Islam“, in: Publik-Forum 6/2020, S. 13f.

2 Marija Barišić: „Filialleiter lehnt 16-jährige Bewerberin wegen Kopftuch ab“, in: Süddeutsche Zeitung, 19.06.2020 (URL: https://www.sueddeutsche.de/panorama/edeka-hamburg-kopftuch-schuelerin-1.4942287).

3 Martin Holland: „Analyse: KI-Sprachmodell GPT-3 hegt tief verankerte Vorurteile gegen Muslime“, in: heise online, 25.01.2021 (URL: https://www.heise.de/news/Analyse-KI-Sprachmodell-GPT-3-hegt-tief-verankerte-Vorurteile-gegen-Muslime-5034341.html).

4 Vgl. Günther Jikeli: „Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland und Europa“, in: Olaf Glöckner / Günther Jikeli (Hg.), Das neue Unbehagen. Antisemitismus in Deutschland heute, Hildesheim 2019, S. 49-72 (Download unter: https://ezw-berlin.de/html/15_10276.php).

5 „Die einseitige Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs zeigt die Verschränkung von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus innerhalb der AfD“, Jannis Niedick: „Die AfD bei Twitter – eine antisemitismuskritische Untersuchung zum Holocaustgedenktag“, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.): Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Antisemitismus, Band 8. Jena 2020, S. 202–213; ähnlich Hanno Loewy: „Die Mär vom christlich-jüdischen Abendland“, in: Der Standard, 27.09.2020 (URL: https://www.derstandard.at/story/2000120268483/die-maer-vom-christlich-juedischen-abendland); vgl. auch „Zentralrat der Juden: ‚AfD nutzt Juden als Feigenblatt für Demagogie‘“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.02.2021 (URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/zentralrat-der-juden-afd-nutzt-juden-als-feigenblatt-17190014.html).

6 Julius Betschka: „Berlin gründet Expertenkommission gegen antimuslimischen Rassismus“, in: Der Tagesspiegel, 19.02.2021 (URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/reaktion-auf-anschlag-in-hanau-berlin-gruendet-expertenkommission-gegen-antimuslimischen-rassismus/26930256.html).

7 „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus nimmt Arbeit auf“, Pressemitteilung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, 26.02.2021 (URL: https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1057701.php).

8 „Bundesinnenminister Seehofer beruft Mitglieder für Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“, Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, 01.09.2020 (URL: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/09/expertenkreis-muslimfeindlichkeit.html).

9 Vgl. vertiefend hierzu auch Ozan Zakariya Keskinkilic: „Was ist antimuslimischer Rassismus?“, in: Infodienst Radikalisierungsprävention der Bundeszentrale für politische Bildung, 17.12.2019 (URL: https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/302514/was-ist-antimuslimischer-rassismus).

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