Neue Handreichung: „Evangelische Orientierung inmitten weltanschaulicher Vielfalt“

In der bunten religiösen und weltanschaulichen Welt der Gegenwart kommen Gemeinden häufig mit Personen und Gruppen in Kontakt, die ganz anders „ticken“ als ein evangelischer „Normalchrist“ oder eine katholische „Normalchristin“. Zur schnellen Information über verschiedene Gemeinschaften und Bewegungen haben die landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der EKD eine Orientierungshilfe erstellt, die im Internet heruntergeladen werden kann.

Martin Fritz
Auf einer Karte liegt ein Kompass.

Besonders häufig sind in Corona-Zeiten die Raumanfragen geworden: Eine Gruppe meldet sich im Pfarramt und bittet darum, am Wochenende für zwei Stunden die Kirche nutzen zu dürfen, weil die eigenen Räume für den Gottesdienst oder andere Treffen nach Maßgabe der Hygieneregeln zu klein sind. Aber was ist das für eine Gruppe? Handelt es sich vielleicht um eine aggressiv antikirchliche Sondergemeinde oder gar um eine „Sekte“, die da beherbergt werden will? Oder um eine dubiose Psychogruppe, die die kirchlichen Räume für irgendwelche manipulativen und/oder kommerziellen Zwecke nutzen will? Ähnliche Fragen stellen sich etwa im Zusammenhang von Patenschaften, Trauungen oder Beerdigungen, aber auch im Rahmen der Seelsorge. Mit wem haben wir es zu tun? Das religiös-weltanschauliche Feld ist unübersichtlich geworden und verlangt mitunter schnelle Orientierung.

Eine solche Orientierung sucht eine gut achtzigseitige Handreichung zu geben, die im Auftrag der Konferenz der landeskirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der EKD von vier Personen aus ihrem Kreis mit langjähriger Forschungs- und Beratungserfahrung (Andreas Hahn, Reinhard Hempelmann, Oliver Koch und Matthias Pöhlmann) erstellt worden ist und die im Internet, in je nach Landeskirche unterschiedlicher Aufmachung, unter mehreren Adressen heruntergeladen werden kann (s.u.). 

Nach einleitenden Bemerkungen zum weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart und zum problematischen Terminus der „Sekte“ bietet die Informationsschrift einen Überblick über verschiedene Strömungen und Gemeinschaften, beginnend im Bereich des Christentums. Es werden die evangelikale und die pfingstlich-charismatische Bewegung beschrieben, die innerhalb wie außerhalb der großen Kirchen begegnen, außerdem die wachsende Gruppe der unabhängigen „Migrantengemeinden“. Es folgen zwei christliche Religionsgemeinschaften, die sich nach ursprünglich großer Distanz auf den Weg ökumenischer Annäherung begeben haben: die „Siebenten-Tags-Adventisten“ und die „Neuapostolische Kirche“. Schließlich werden eine Reihe von Sondergemeinschaften mit christlicher Herkunft vorgestellt, allen voran die wohlbekannten „Zeugen Jehovas“, aber auch weniger bekannte Gruppierungen wie der „Bruno-Gröning-Freundeskreis“ und die „Unitarier“. 

Sodann wendet sich die Schrift esoterischen und okkulten Phänomenen zu wie der alltäglich begegnenden Astrologie und dem – glücklicherweise – weniger alltäglichen Satanismus. Es werden Einflüsse asiatischer Spiritualität (Zen, Yoga, Ki-Bewegungen, Ayurveda) und spirituelle Selbstoptimierungsangebote erörtert, die inzwischen in Deutschland einen großen (und auch ökonomisch nicht unbedeutenden) Lebenshilfemarkt bedienen. Aber auch eine dezidierte Religionsdistanz und ihre Interessenverbände werden thematisiert, um schließlich noch die – in jüngster Corona-Zeit unerfreulich prominent hervorgetretene – Erscheinung des Verschwörungsdenkens zu charakterisieren. Einige Notizen zu Methoden und Institutionen weltanschaulicher Beratung runden die Schrift ab. (Die anderen Weltreligionen Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus bleiben ausgeklammert.)

Wer sich rasch – auf jeweils zwei Seiten! – über Geschichte und Gegenwart einer religiös-weltanschaulichen Gruppierung informieren will und wer auch noch einen orientierenden Hinweis zum Umgang aus evangelisch-kirchlicher Perspektive sucht, wird in dieser Handreichung fündig. Sie ist auch gut dazu geeignet, sich einen Überblick über die relevanten Bewegungen auf dem religiös-weltanschaulichen Feld zu verschaffen. Allerdings ist eine gewisse theologische Vorbildung hilfreich, jedenfalls darf man sich als theologischer Laie von manch unerläuterten Formulierungen nicht irritieren lassen („Tendenz zum Dualismus“, „rite getauft“, „gnostisierende Tendenzen“, „konstantinische Gestalt des Christentums“). Wer noch eingehendere Informationen und Reflexionen wünscht, findet jeweils Angaben zu weiterer Literatur, häufig aus dem großen publizistischen Fundus der Autoren selbst. Für den Profi in der Sphäre von Religion und Weltanschauung dürfte es sich freilich auf kurz oder lang empfehlen, sich das einschlägige Handbuch zuzulegen, auch wenn man dafür etwas tiefer in die Tasche greifen muss: Matthias Pöhlmann/Christine Jahn (Hg.), Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Gemeinschaften, Freikirchen, hg. im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD, Gütersloh 2015.

Martin Fritz

Links zum Download:

https://www.amd-westfalen.de/aktuelles-detailansicht/datum/2020/04/06/evangelische-orientierung-inmitten-weltanschaulicher-vielfalt/

https://www.zentrum-oekumene.de/fileadmin/redaktion/Weltanschauungen/Weltanschauliche_Vielfalt_A5.pdf 

https://www.weltanschauungen.bayern/sites/www.weltanschauungen.bayern/files/WAS%20Sonderausgabe%201%20-%20Evangelische%20Orientierung%20-%20Stammteil.pdf 

https://www.kirchliche-dienste.de/arbeitsfelder/weltanschauungsfragen/evangelische-orientierung


Auf der Grundlage der besprochenen Orientierungshilfe hat der Mitverfasser Oliver Koch, Referent für Weltanschauungsfragen beim „Zentrum Ökumene“ in Frankfurt, im Oktober einen Podcast „WeltanschauungHören“ gestartet: 

https://www.zentrum-oekumene.de/de/themen-materialien/weltanschauungen/

https://www.youtube.com/watch?v=Bew3fqiW-Ws

Ansprechpartner

Foto Dr. Martin FritzPD Dr. theol. Martin Fritz
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80
10117 Berlin