Nebenwirkung: Spirituelle Langeweile

Neue Ergebnisse aus der Meditationsforschung

Michael Utsch

In Deutschland meditieren immer mehr Menschen regelmäßig. Laut einer Umfrage von Statista Consumer Survey hat fast jede:r Vierte im Alter von 18 bis 64 Jahren eine Meditationsapp auf dem Handy. Ergebnisse der Meditationsforschung belegen nämlich eindeutig, dass eine regelmäßige Praxis positive Effekte‌ auf Stress, Angstzustände und Depressionen hat und die seelische Gesundheit stärkt. Allerdings liegen inzwischen auch Studien vor, die unangenehme und zum Teil schädliche Nebenwirkungen von Mediation dokumentiert haben. Ein Team um die US-amerikanische Psychologin Willoughby Britton stellte in einer zehnjährigen Langzeitstudie fest, dass etwa jeder Zehnte Nebenwirkungen entwickelt habe.1 Meistens handelt es sich um Ängste, Hypersensibilität oder traumatische Flashbacks.

Auch für Deutschland liegen vergleichbare Ergebnisse vor. Ein Forscherteam der Charité Berlin stellte in ihrer Untersuchung fest, dass 22 Prozent der etwa 1.400 meditierenden Probanden unerwünschte Nebeneffekte erlebte.2 Bei etwa neun Prozent davon wurden die Nebenwirkungen als vorübergehend und mild eingestuft. Die restlichen 13 Prozent erlebten jedoch moderate bis extreme negative Auswirkungen. Diese erwiesen sich als dauerhaft und machten eine Behandlung erforderlich, bei manchen war sogar ein Krankenhausaufenthalt nötig.

Immer häufiger weisen Experten darauf hin, dass die negativen Auswirkungen von Meditation unterschätzt werden. Das führe dazu, dass mögliche Nebenwirkungen und Risiken übersehen und vernachlässigt würden. In Deutschland gibt es mittlerweile eine Anlaufstelle für Menschen, die unter den Nebenwirkungen von Meditation leiden. Diese wurde von den Psychologen Ulrich Ott und Liane Hofmann am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg gegründet. Beide vermuten eine hohe Dunkelziffer von Betroffenen und bieten im Rahmen eines neuen Beratungsschwerpunktes Unterstützung bei „spirituellen und meditationsinduzierten Krisen“ an.3

In einer neuen Studie haben Psycholog:innen der Universität Wien und der University of Essex nun herausgefunden, dass bei spirituellen Praktiken häufig Langeweile auftritt und die beabsichtigten Ziele der Meditation eindeutig beeinträchtige.4 In der breit angelegten Untersuchung von fünf klassischen spirituellen Methoden – Yoga, Meditation, Schweigeexerzitien, katholische Predigten und Pilgern – wurden mehr als 1.200 Erwachsene befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Über- und Unterforderung und vor allem die fehlende persönliche Relevanz für die Praktizierenden die zentralen Auslöser für spirituelle Langeweile waren. Diese wirkten sich negativ auf die Motivation und Achtsamkeit bei Ausübung der Praktiken aus und habe deren potentiell positiven Effekte stark gemindert.

Die Forschergruppe empfiehlt aufgrund ihrer Studienergebnisse, spirituelle Praktiken besser den individuellen Bedürfnissen anzupassen, um ihre gesundheitsförderliche Wirkung zu stärken. Spirituelle Praktiken könnten ihre Wirksamkeit besser entfalten, wenn sie stärker personalisiert seien und auf die Bedürfnisse der Praktizierenden eingingen.

Auch wenn die Studie Schwächen aufweist – die Untersuchungsgruppe bestand nur aus Wiener Pädagogik-Studierenden, und als „christlicher Kontext“ wurde nur „katholische Predigten“ erfasst, sind die Ergebnisse weiterführend. Denn die gesundheitsförderlichen Effekte der Meditation sind mittlerweile wissenschaftlich unstrittig. Wenn es besser gelingt, den Zugang zum meditativ veränderten Bewusstseinszustand zu personalisieren, können mehr Menschen davon profitieren. Gerade die christlichen Kirchen mit ihrem vielfältigen und bunten Schatz an kontemplativen Methoden können hier aus dem Vollen schöpfen und mit ihrer spirituellen Diversität unterschiedlichste Menschen ansprechen, um dadurch Glaubenserfahrungen zu ermöglichen.


Michael Utsch, 10.04.2025

 

Anmerkungen

  1. Britton WB, Lindahl JR, Cooper DJ, et al. (2021). Defining and measuring meditation-related adverse effects in mindfulness-based programs. Clinical Psychology Science 9(6),1185-1204.
  2. Pauly L, Bergmann N, Hahne I, et al. (2022). Prevalence, predictors and types of unpleasant and adverse effects of meditation in regular meditators: international cross-sectional study. British Journal of Psychiatry Open. 8(1), Artikel e11.
  3. Spirituelle und meditationsinduzierte Krisen | Zeitschrift Bewusstseinswissenschaften. Transpersonale Psychologie und Psychotherapie.
  4. Goetz T, Fries J, Stempfer L et al. (2025). Spiritual boredom is associated with over- and underchallenge, lack of value, and reduced motivation. Communications Psychology 3, 25.
     

Ansprechpartner

Foto Dr. Michael UtschProf. Dr. phil. Michael Utsch
Wissenschaftlicher Referent
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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